Über das gestörte Verhältnis zwischen Malerei und Motiv

Wenn ich gefragt werde, erzähle ich etwas, was mir erst später – nach dem Malen als Akt – eingefallen ist. Es sind Gedanken. Malerei ist etwas anderes. Mir geht es beim Malen um die Umsetzung einer gewissen Stimmung, die nicht deutlich definierbar ist. Diese Stimmung entsteht durch die Zusammenführung der malerischen Möglichkeiten und des Motivs.

Die Arbeit beginnt mit Entscheidungen und Absichten; was für Motive, welche Stimmung, etwa die Farbrichtung etc. Da ich mich schon seit der Jugend in meiner Malerei mit Menschen als Motiv beschäftigt habe, suche ich zuerst eine oder mehrere Figuren, die ich aus Fotos entnehme. Es sind eigens inszenierte Fotografien oder Bilder aus Zeitungen, Zeitschriften und Fotobüchern. Wichtig ist, dass ich eine Verbindung oder Anziehung zu den Fotos spüre. Ich glaube, die Fotos, die ich auswähle tragen eine malerische Idee in sich. Manchmal habe ich vorher eine Idee, wofür ich bestimmte Fotos aussuche oder selber fotografiere.

Schon in meiner Kindheit mochte ich es Fotos abzumalen. Später – einige Jahre nach meinem Studium – als ich meiner eigenen expressiven Gestalten überdrüssig war, habe ich bewusst entschieden die Fotos als Vorlage für meine Bilder zu verwenden.

Ich war unzufrieden, dass meine eigenen Kreationen aus irgendwelchen zeichnerischen oder malerischen Gewohnheiten entstanden. Ich glaube, die Begrenztheit des Routinierten und Gewohnten störte mich.

Gegenüber Fotos konnte ich mich für neue malerische Lösungen öffnen. Die Auseinandersetzung mit einem Motiv, das nicht direkt aus meinem Kopf entsprungen ist war und ist die größte Motivation für mich. Dadurch fühle ich mich mit der Realität – ich meine alles, was sich außerhalb von mir befindet – verbunden. Ich brauche es, immer wieder fest zu stellen, dass es eine Realität außerhalb von mir existiert, in der ich mich befinde. Mit anderen Worten fällt es mir schwer, mich mit der Realität abzufinden.

Realität ist zugleich beruhigend und bedrohend. Wichtig ist, Indifferenz zu vermeiden. Da das Malen mit Entscheidungen zu tun hat, bleibe ich dadurch mit dem Jetzt verbunden. Ich bin in dem Moment präsent. Die Geschichte der Malerei, also die Vergangenheit und meine Vorstellung verbinden sich in dem Moment. Ich bin dann in dem Moment automatisiert.

Die Auseinandersetzung mit den Gegebenheiten – das Gelernte, eigene Erfahrungen und die Geschichte – ist vielfältig. Ich arbeite unter dem Einfluss dieser Gegebenheiten. Sie sind Nährboden für meine Arbeit. Wenn die Arbeit durchsichtig wird, verliert sie an Reiz. Hier setze ich die Dekonstruktion an; eine lebhafte Auseinandersetzung mit dem Bild. Ich verliere danach die Loyalität gegenüber meinen eigenen Entscheidungen.

Am meisten beschäftigt mich aber bei der Gestaltung die Stimmung des Bildes. Ich meine eine Grundstimmung, die mich zum Malen treibt. Sie bringt, je nach Motiv eine andere Erscheinungsform hervor. Die Energie und die Transzendenz, die die Bilder ausstrahlen hat mit dieser Grundstimmung zu tun. Mir geht es um diese transzendentale Stimmung. Ich bevorzuge eine Stimmung, die aus widersprüchlichen Elementen besteht und nicht eindeutig definierbar ist. Damit wird eine geistige Präsenz hervorgerufen, die mich überrascht. Sie liegt in der Farbe, Pinselstriche und Entscheidungs-Wendungen. Sie strahlt natürlich auch aus den Motiven aus, die im Grunde außerhalb der Malerei existieren.

Ich möchte eine Art Konstruktivismus betreiben, der aber emotionsgeladen ist. Konstruktivismus verstehe ich als Konstruktion, die dem Bild Gestaltung gibt, aber auch im Sinne von Konstruktivisten. Mich interessiert die Grenze zwischen geistig-emotionalen und einer entgegengesetzten malerische Konstruktion. Aus diesem Grund ist die menschliche Gestalt mein Hauptthema. Sie hat eine Geschichte, eine Stimmung und sie war in allen Epochen – abgesehen von einer Episode der Moderne – das Hauptmotiv für die Kunst. Ich gehe davon aus, dass trotz des Mal-Aktes, der mehr oder weniger abstrakt verläuft, die emotionale Stimmung des Bildes jedoch von menschlichen Figuren in ihrer jeweiligen Pose beeinflusst wird. Dieser Einfluss, der von Außen, also aus der Realität in die Malerei eingeführt wird, ist für mich ausschlaggebend.

Dreidimensionalität, die Regeln der Anatomie und die Perspektive in der Malerei wurden nicht über Nacht erfunden, aber ich glaube schon, dass Velásquez, Tizian, Caravaggio und viele weitere Meister von einer Art Alchemie berauscht waren. Das spürt man in ihren Bildern.

Obwohl diese Regeln uns heute ziemlich simpel und erklärbar vorkommen mögen, verzaubert mich immer noch der Geist, der mich durch eine Leinwand von Rembrandt, bloß mittels Farbe und Pinselstriche anzieht.

Später empfand Gauguin die Renaissance als skandalös und Dreidimensionalität als Betrug. Die Moderne wollte mit dieser Alchemie nichts zutun haben. Die Entwicklung der flächigen Malerei, Flachheit, reine Form und Rückführung der Malerei und Kunst in ihre Grundelemente bis hin zur weißen Leinwand sind nun eine Geschichte, begleitet von einem spannenden philosophisch-theoretischen Diskurs.

Als ich in den neunziger Jahren an den Nullpunkt dieser linearen Geschichte angelangt war, merkte ich, dass die mit dem Verstand nachvollziehbaren Theorien dieser Geschichte mich nicht mehr zur Kunst führen können.

Seitdem versuche ich heraus zu finden, was die Kunst für mich persönlich bedeutet. Ich muss gestehen, dass dieser Nullpunkt mich immer wieder einholt und diese nihilistische Haltung betrachte ich mittlerweile als einen selbstverständlichen Begleiter. Er ermahnt mich zu Präsenz im Moment und den Empfang der Stimmung dieses Momentes.

Der Nullpunkt ist das Resultat der Gedankenwelt und bestimmten biographischen Abwicklungen. Die Vergangenheit wohnt den Gedanken inne. Gedanken neigen dazu, zu Ende zu kommen, ausschließlich und endgültig zu sein, Nullpunkt zu sein. Das ist es, was ich die Mahnung zu Präsenz nenne, zum Jetzt und zu etwas, was mich in dem Moment bewegt und antreibt; also Alchemie des Malens, Verwandlung einer Stimmung zur Form. Die Energie und die Ausstrahlung dieser Form, die vom Leben und der Kunst geprägt ist, ist wiederum mein Antrieb zu Kunst.

Jede Form von Ausschließlichkeit gerät durch die Vergänglichkeit in die Absurdität. Gefühle und Emotionen (körperliche und geistige Erfahrung) gehören jedoch zu unserem substanziellen menschlichen Dasein. Ich glaube, ich neige dazu, emotional und mit malerischem Genuss die Absurdität darzustellen. Es ist eine poetische Haltung, aus der ich etwas unerwartetes gestalten möchte.

Meine Bilder wirken melancholisch. Es sind jedoch darin Elemente integriert, die wie Stör- oder Stolperelemente agieren. Es ist nicht möglich das Ernstgemeinte ausschließlich ernst zu malen, wie dies z.B. bei den Expressionisten und Realisten der Fall war und immer noch ist. Mir ist es nicht möglich gegenüber eigenen Entscheidungen bis zum Schluss ernst zu bleiben. Ein Widerspruch begleitet mich bei jeder Entscheidung. Daher die Skepsis, wenn sich die Bilder dem Ende zuneigen.

In Begleitung von unsinnigen und absurden Elementen, widersprüchlichen Szenen und Stolpersteinen bleiben die Bilder offen, irgendwie unvollendet. Selbst bei anfänglichem Ernst, mit der ich meine Figuren und Szenen aufbaue, spüre ich eine gewisse Ironie und Humor in mir, die mal deutlich, mal unauffällig durchscheinen.

Ich beginne meist mit einer konstruktiven Haltung, aber bald setzt sich die Verführung der Dekonstruktion ein; wenn ich nämlich mit Genuss etwas übermale, das ich vorher mit Überzeugung hingemalt habe oder wenn ich Formen verwerfe, komische Zustände und Situationen, die beinahe eine banale Realität darstellen aber sich bald als irreal und unmöglich entpuppen. Mit wenigen Pinselstrichen wird der Realität der Boden entzogen, etwas, was nur beim Malen und nur im malerischen Prozess möglich ist. Das Dargestellte stört also die Malerei und umgekehrt. Die Darstellung des gestörten Verhältnisses zwischen Malerei und Motiv ist die eigentliche Anregung und meine Motivation zur Kunst. An dieser Grenze bin ich nah bei mir. Da brauche ich nicht über meine Malerei zu reden, im Grunde kann ich das auch nicht.

Masoud Sadedin, 2014