Kritzeln, Zeichnen, Archaik, Kunst; Raffinesse, Ästhetik, Ausdruck, Form, Farbe, Papier, Buch, Linie, Fläche, Ideen, Gedanken, Gefühle, Gegensätze, Spiel, Humor, Nicht-Kunst, Null, an den Bildern scheitern, sich an Scheitern gewöhnen, Scheitern als Impuls, Bilder.

Ja Bilder, die unter der Hand bei der Arbeit entstehen. Intim persönlich, privat, spielerisch, ohne feste Position oder eine Philosophie. Ein Treiben und getrieben sein von der Idee; „Etwas wird passieren“, das mich überrascht, mir Freude macht, mich aus meiner alltäglichen Routine holt, mir das Gefühl gibt, etwas zu finden, zu erfinden, was der Sinnlosigkeit einen Sinn gibt. Mit der Linie mitgehen, gegen Haltlosigkeit etwas anbieten, gegebene Spuren weiter verfolgen oder neuen Spuren nachgehen, auflauern.

Im Gegenteil zur Malerei kann ich bei der Zeichnung ohne Voraussetzungen loslegen oder etwas Sinnfreies zulassen. Die Leinwand braucht in irgendeiner Weise eine Planung, ein Hin und Her, eine Auseinandersetzung, ein Ringen mit den Elementen. Dagegen ist die Zeichnung beiläufig, etwas aus dem Fluss der Intuition Hergeleitetes. Bilder, die sich unbegründet aus der Hand befreien. „Unbegründet“, ist das nicht herrlich?

Zeichnungen haben eine gewisse Frische, etwas Unerwartetes, Flüssiges, nicht Anspruchvolles, das meist auf den großen Bildern verloren geht. Blätter, die in den Zeichenheften jahrelang in Verborgenheit bleiben und doch etwas Freies, Absichtsloses und Unkontrolliertes in sich bergen; eine Arbeit, die meist unfertig und offen bleibt.

Manchmal beim Aufschlagen der Hefte, habe ich den Eindruck, dass eine fremde Hand den Stift führte. Beim Zeichnen gibt es zwischen bewussten und unbewussten Entscheidungen keine Grenze. Ich bin dann mit dem Geschehen auf dem Papier verwoben.

Die Art und Weise, wie ich mit einer Zeichnung anfange ist unterschiedlich. Mal einfach aus dem Kopf, mal mit einer Vorlage, einem Foto, mit den Bildern der früheren Künstler, oder ich bewege die Hand völlig frei von Vorstellungen aufs Papier. Ich bin dann „auf der Lauer“, wohin mich das Gekritzel führt. Ich versuche offen zu bleiben für das, was nun entsteht. Meist bin ich überrascht, dass diese Kritzeleien schon nach einer kurzen Zeit eine Seele bekommen, die mich anspricht und immer mehr ist als ich und immer weniger als ich.

Manchmal gehe ich auch programmatisch vor, gehe aus von Motiven der Kunstgeschichte, die ich mit Menschen unserer Zeit kombiniert habe. Es ist ein Versuch, dem Vergehen der Zeit eine Form zu geben. Es gelang letztlich nicht, aber die Zeichnungen haben von der Absicht profitiert; eine dichte Atmosphäre, in der die Stimmen sich beinahe treffen und doch aneinander vorbeirauschen. Hieronymus Bosch hat mich animiert, mich mal dem Wahn widmen, etwas Unsinniges- nicht dass er etwas Unsinniges gemacht hätte- das ich immer wieder suche, um es dann konzentriert und ernst zu betreiben.

Über die Jahre wandelt sich der Begriff Zeichnung für mich und da ich selten Ruhe und Zufriedenheit in der Arbeit finde, halte ich auch nicht an irgendeiner Richtung fest. Ich beschäftige mich zwar sehr intensiv mit einem Thema oder einer Idee aber wenn der Reiz und das Fiebern nachlassen, dann fange ich mit etwas Neuem an. Dabei achte ich nicht auf eine homogene und wieder erkennbare künstlerische Haltung. Herausforderung und Wagnis sind für mich viel wichtiger. Damit kann ich meine Grenzen, Fähigkeiten und potenzielle Möglichkeiten ausprobieren, mehr im geistigen Sinn als in dem technischer Machbarkeit. Eine Art Ankommen, einen festen über Jahrzehnte nachvollziehbaren Stil, der Künstlern gerne nachgesagt wird, passt nicht zu mir. Die graphische Arbeit, die mich schon seit meinem Studium begleitet, hat sich als eine hervorragende Ausrede erwiesen, „das nicht Ankommen“ zu begründen und legitimieren. Gleichzeitig muss ich gestehen, dass die Sehnsucht nach Ankommen, es zu erreichen, mich nie losgelassen hat. Ich denke, auf diese Weise bleibt das Ereignis unter der Hand und auf dem Papier lebendig.

Die Zeichnungen entstehen unabhängig von meiner Malerei und sind selten als Skizzen für die großen Bilder gedacht. Sie bilden ein paralleles Dasein neben meiner Malerei. Sie geben mir die Möglichkeit, zwanglos einem frei laufenden Fluss von den Bildern nachzuspüren und nachzugehen – Bildern, die auftauchen, erscheinen, und andere Bilder und Ideen hervorrufen. Bilder, die mich ständig daran erinnern, wie unsinnig und gleichzeitig wie sinnvoll die Kunst ist, wie zerbrechlich und widersprüchlich das Künstler-Dasein ist. Und wie Überzeugung und Skepsis nah beieinander liegen. In dieser parallelen Welt kann ich mir erlauben vielfältig, sogar beliebig hin und her zu wandern, die Kunst zu parodieren, dadaistisch gegen Dada zu sein.

Masoud Sadedin, 2014